Landesparteitag der CDU im Pressespiegel

Westfalenpost

Landesparteitag in Bonn

Merz bei der NRW-CDU: Kanzler wählt den Kammerton

Bonn. Merz wirbt beim Parteitag der NRW-CDU um Kompromisse mit der SPD - und überlässt die Parteiseele lieber Wüst, der 98 Prozent bekommt.

Von , Korrespondent

30.08.2025, 14:07 Uhr

Streit hilft keinem vom beiden: Kanzler Friedrich Merz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst am Samstag beim CDU-Landesparteitag in Bonn.

Streit hilft keinem vom beiden: Kanzler Friedrich Merz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst am Samstag beim CDU-Landesparteitag in Bonn.© Thomas Banneyer/dpa | Thomas Banneyer

Die Kanzlerstimme bricht, als es um die Streitkultur in der schwarz-roten Bundesregierung geht. Friedrich Merz hat am Samstagmorgen beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU im Bonner Kongresszentrum gerade eine gute Viertelstunde gesprochen, als er bei den gut 600 Delegierten um Verständnis für die Rumpeleien mit den Sozialdemokraten in den ersten gut 100 Tagen seiner Kanzlerschaft wirbt.

„Wir ringen in bester Absicht…“, setzt Merz an und räuspert sich. Der Kanzler hat sich verschluckt und braucht Wasser. Das kleine rhetorische Missgeschick soll aber an diesem Vormittag gerade kein Symbol sein. Merz ist nach Bonn gekommen, um die Berliner Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen über Stromsteuer, Verfassungsrichter-Wahl oder Waffenliefer-Stopp an Israel in einen größeren Kontext zu bringen.

„Das Ringen um den richtigen Weg gehört in einer Koalition dazu“, sagt Merz. Und: „Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist sofort ein Streit.“ Auch in den Zeiten der Bonner Republik unter seinem CDU-Vorgänger Konrad Adenauer, dessen 150. Geburtstag im nächsten Jahr begangen werden soll, sei kräftig gestritten worden um wichtige Weichenstellungen. Richtungsentscheidungen gingen nun mal „nicht nur im Konsens“.

Bonn ist für den Bundeskanzler ein besonderer Ort - politisch und prsönlich

Bonn ist für Merz ein besonderer Ort. Hier hat er studiert, eine Familie gegründet und er gehört zu den letzten Berliner Spitzenpolitikern, die in den 90ern noch im Bundestag am Rhein gesessen haben. Nun präsentiert er sich als Kanzler, der es mit einem „tiefen Epochenbruch“ zu tun habe. Es sei nicht die Zeit, in der man „einfach mal ein bisschen regieren“ könne. Sozialstaat, Ukraine-Krieg, Wirtschaftsstandort, Trump, Nato – Merz führt die NRW-CDU durch sein tägliches Gebirge an Herausforderungen, die an die großen bundesrepublikanischen Debatten um Westbindung und Wiederbewaffnung heranreichten.

Ob diese historische Folie hilft, mehr Verständnis für die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Union und SPD und die schwachen Umfragewerte zu finden? Merz, der über Jahre am Rednerpult jeden Saal anzünden konnte, plätschert eher dürftiger Applaus entgegen. Vermutlich ist ihm das diesmal aber egal.

 

In zwei Wochen stehen in NRW Kommunalwahlen an. Fast 14 Millionen Menschen werden zur Urne gerufen, mehr als in etlichen EU-Mitgliedsstaaten bei nationalen Wahlen. Die schlechte bundespolitische Stimmung für Union und SPD verhagelt vielen Wahlkämpfern an Rhein und Ruhr die Erfolgsaussichten. Die AfD steht womöglich recht leistungslos vor einer Verdreifachung ihres Ergebnisses von 2020, das damals nur bei gut 5 Prozent im Landesschnitt lag. Von Merz-Euphorie ist deshalb in Bonn wenig zu spüren.

Anders als in der Vorwoche bei der Niedersachsen-CDU in Osnabrück feiert der Polarisier a.D. überraschend den Kompromiss und behandelt die SPD auffallend pfleglich. Der Kanzler im Kammerton. „Wir muten den Sozialdemokraten etwas zu. Die uns auch“, sagt Merz. Man wolle „mit den Sozialdemokraten zusammen zeigen“, dass man den Sozialstaat reformieren und das Modell Deutschland wieder flottkriegen kann.

Merz will nicht von „der letzten Patrone“ der Demokratie reden

Zugleich scheint sich Merz irgendwie vor der sich selbsterfüllenden Prophezeiung zu fürchten, dass das Land kurz vor der Machtübernahme der AfD stehen könnte: „Ich halten nicht so viel davon, von der letzten Patrone zu sprechen.“ Schönen Gruß an Markus Söder.

Für die Parteitagsseele hat der Kanzler diesmal nicht so viel im Angebot. Höchstens ein bisschen soziale Rosskur: „Wir werden dieses System ändern. So wie es jetzt ist im sogenannten Bürgergeld kann es nicht bleiben und wird es nicht bleiben.“ Auch ein wenig Annalena Baerbock-Spott geht immer: „Diese Dame, die sich jetzt in New York aufhält.“ Höhnisches Gelächter.

Außerdem hat der Kanzler die konkrete Ankündigung mitgebracht, dass ab 1. Januar 2026 die lange erwartete kommunale Altschuldenlösung in Kraft treten werde. Davon würden vor allem finanziell ausgezehrte Städte in NRW profitieren. Merz lässt aber durchblicken, dass ihm eher ein kleiner Beitrag vorschwebt.

Kanzler Friedrich Merz bei „seiner“ NRW-CDU,

Kanzler Friedrich Merz bei „seiner“ NRW-CDU,© Thomas Banneyer/dpa | Thomas Banneyer

NRW-Landeschef und Ministerpräsident Hendrik Wüst nimmt die Vorlage dennoch dankbar auf. Überhaupt soll diesmal nichts von der heimlichen „Systemkonkurrenz“ zwischen Wüst und Merz durchschimmern. Der Düsseldorfer Regierungschef hat sich in den vergangenen vier Jahren als freundlich-mitfühlender Erbe der liberalen Merkel-CDU und stilistischer Gegenpol zum Kanzler neu erfunden. Das kommt an: Wüst wird mit 98 Prozent als Landesvorsitzender im Amt bestätigt.

Die NRW-CDU sei mit ihren 111.000 Mitgliedern und den meisten Bundestagsabgeordneten aller Landesparteien „das Kraftzentrum der Union“, sagt Wüst selbstbewusst. Beiläufig erinnert an Gespräche mit Merz über die Kanzlerkandidatur vor einem Jahr „in einem Hotel hier um die Ecke“. Subtext: Hier herrscht Augenhöhe.

Doch gestichelt wird heute nicht. Wüst eskortiert Merz bei einem Klatsch-Spalier in den Saal und preist ihn als eine Art Führer der freien Welt: „Dank Deines Einsatzes hat Europas Stimme wieder Gewicht auf der Welt“. NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski wirbt als Tagungspräsident bei offenbar verärgerten Delegierten um Verständnis für die strengen polizeilichen Sicherheitsmaßnahmen, den der Merz-Besuch notwendig mache: „Wir müssen uns alle wieder daran gewöhnen, dass der Bundeskanzler in unseren Reihen ist.“

Merz und Wüst brauchen sich gerade gegenseitig. Die Führungsfrage in der Union ist geklärt, Streit hilft gerade niemandem. Alle loben sich gegenseitig. Sogar für seinen umstrittenen Fraktionschef Jens Spahn, der in der ersten Reihe sitzt, findet Merz freundliche Worte: „Es eine nicht ganz einfache Aufgabe, aber du machst sie gut“.

Eher unbeabsichtigt wird das Selbstbild der NRW-CDU deutlich. Generalsekretär Paul Ziemiak, der immer viel Energie für die Wüst-Verehrung aufwendet, leistet sich im Überschwang einen Freud’schen Fehler. Nach dem 45-minütigen Merz-Auftritt dankt er für die „fulminante Rede von Hendrik Wüst“.